5 Fragen – 5 Antworten: Adipositas behandeln

Die lateinische Bezeichnung Adipositas steht für starkes oder krankhaftes Übergewicht und wird oft landläufig als „Fettleibigkeit“ oder „Fettsucht“ bezeichnet. Jahrelang wurde diese Erkrankung von der Bevölkerung sowie auch von manchen Ärzten nicht als Krankheit angesehen, sondern nur als Auswirkung eines ungesunden Lebensstils, was eine Stigmatisierung von adipösen Menschen mit sich brachte. Adipositas ist jedoch eine Erkrankung mit vielen unterschiedlichen Ursachen. Mit der richtigen Betreuung kann sie auch erfolgreich behandelt werden. Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak beantwortete in einem Videocall die fünf wichtigsten Fragen zu dem Thema.

Ist Adipositas eine Krankheit?

Adipositas ist eigentlich schon seit den 1950er-Jahren in das Handbuch der Klassifikation der Krankheiten aufgenommen worden. Etwas später, in den 1960er-Jahren, hat sich auch die WHO dazu entschieden. Man muss allerdings dazu sagen, dass das bei den Gesundheitsbehörden teilweise nicht so gesehen wird. Deswegen haben sehr viele Menschen lange Zeit versucht, die Adipositas wenigstens als einen sehr bedeutsamen Zustand zu bezeichnen, der mit sehr vielen Folgekrankheiten einhergeht. Neuerdings ist man endgültig dazu übergegangen, die Adipositas als Krankheit zu sehen.

Ist Adipositas Ausdruck eines schwachen Willens?

Das menschliche Verhalten ist schon etwas komplexer als man glaubt. Wenn wir uns an Ernährung halten und wenn wir uns an Bewegung halten wollen, dann ist es schon sehr wichtig, dass dazwischen das Gehirn eingeschaltet ist. Das ist richtig. Es gibt Zustände, unter denen wir etwas Kontrolle mit diesem Gehirn über unser Verhalten verlieren. Das ist z.B. dann der Fall, wenn wir wenig Bewegung machen. Dann verliert unser Körper die Fähigkeit, dieses Ernährungsverhalten zu kontrollieren. Psychische Erkrankungen wie Depressionen wirken sich dann noch verstärkter aus. Wenn übergewichtige Menschen frustriert oder deprimiert sind, fangen sie zu essen an. Es ist übrigens sehr spannend, dass sehr schlanke Menschen in derselben Situation abnehmen, weil die Gehirne unterschiedlich regulieren.

Warum ist es wichtig, das Gewicht in den Griff zu bekommen?

Die Fettleibigkeit schadet uns auf allen Ebenen. Es ist ja nicht nur ein Gewicht, das wir unser Leben lang herumtragen müssen, das dann z.B. Gelenke frühzeitig kaputt machen kann, sondern das Körperfett ist auch hormonaktiv. Es trägt zum Beispiel dazu bei, dass sich ein Bluthochdruck entwickeln kann. Das Körperfett, besonders das Bauchfett, ist dazu geeignet, die Entwicklung einer Zuckerkrankheit voranzutreiben. Daraus entstehen dann zusammen mit erhöhtem Blutdruck, Blutfetten und Blutzucker schwerste Formen von Gefäßkrankheiten der großen Gefäße, die z.B. das Gehirn versorgen – die Folge ist ein Schlaganfall. Gefäße, die das Herz versorgen – hier ist die Folge ein Herzinfarkt. Es gibt eine Fülle anderer Störungen: Von Zyklusstörungen bei Frauen bis hin zur Unfruchtbarkeit. Auch bei venösen Erkrankungen spielen auch zB. die Adipositasformen eine ganz wichtige Rolle. Und somit sind es viele, viele Erkrankungen, bei denen das Gewicht eine zentrale Rolle spielt. Aber es zeigt sich deutlich: Immer, wenn es einem gelingt, das erhöhte Gewicht wieder zu reduzieren, dann ist das sehr gut für den Körper. Wenn Diabetiker zum Beispiel 15 kg abnehmen würden, wären sie vielleicht gar nicht mehr Diabetiker. Deswegen ist das neueste Ziel in der medikamentösen Therapie, gleichzeitig mit dem Medikament auch das Gewicht zu senken. Denn der richtige Erfolg ist nicht nur ein gut eingestellter Blutzucker, sondern, dass er überhaupt weg ist! Das ist der Erfolg, auf den wir für die Zukunft bauen.


“Zur Adipositasbehandlung gehört ein langes, ausführliches Basisgespräch, bei dem alle Puzzlesteine, die zur Fettleibigkeit beitragen, zusammentragen werden.”

Was gehört zu einer professionellen Adipositasbehandlung?

Zur Adipositasbehandlung gehört ein langes, ausführliches Basisgespräch, bei dem alle Puzzlesteine, die zur Fettleibigkeit beitragen, zusammentragen werden. Da muss ich etwas darüber lernen, wie ein Mensch isst und warum er isst. Was sind die Zustände? Die Risikoachse? Wie sieht es mit der Bewegung aus? Welche Folgekrankheiten bestehen bereits? Das alles muss sauber erhoben und dann auch sauber behandelt werden. Denn wenn der Gewichtverlust gelingen soll, müssen die Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Zucker, Fett berücksichtigt und auch gut behandelt werden, damit letztlich der Patient unter diesen Krankheiten nicht zu stark leidet und nicht viele Folgekrankheiten bekommt.

Die weitere Behandlung kann sich über Jahre ziehen. Ich habe Patienten, die drei Jahre einmal monatlich zu mir gekommen sind. Bei dieser sehr intensiven Gesprächsbetreuung versuchen wir zu verstehen, warum wir wann was tun, was uns gelungen ist. Was könnte man besser machen, was könnte man anders machen, um wieder den richtigen Pfad zu finden? So gelingt es oft über zweieinhalb Jahre, dass Patienten, die mit 165 kg gekommen sind, dann 66 kg weniger haben. Was häufig vorkommt, ist dass eine Operation der Bauchfalten notwendig ist. Die müssen vom plastischen Chirurgen wieder gestrafft werden, damit der Betroffene normale Kleidung tragen kann und sich auch wieder ins Schwimmbad trauen kann.

Viele Leute sehen heute die sogenannten bariatrischen Operationen – das sind in erster Linie die Verkleinerungen des Magens und die Umgehungen des Dünndarmes – als operative Methoden an, die ihr Problem Adipositas lösen. Das ist nicht ganz richtig. So eine Operation ist eine große Hilfe, vor allem wenn man sehr schwer ist. Dann rate ich das durchaus auch Patienten manchmal. Aber man muss bedenken, dass man sich nachher viel mehr an Spielregeln halten muss, als wenn man eine normale Ernährungsumstellung macht. Denn man kann ja nur kleine Mahlzeiten essen. Man kann z.B. bei einem Bypass nicht gleichzeitig essen und trinken, das funktioniert bei den meisten Menschen nicht. Man muss das zeitversetzt tun. Man muss Vitamine nehmen, Spurenelemente, Eisen zum Teil ergänzen lassen. Und deswegen braucht es auch nach so einer Operation eine langfristige, gute Betreuung von einem Adipositas-Spezialisten.

Wo finde ich medizinische Hilfe?

Die Adipositas wird am besten behandelt von Ärzten, die darauf spezialisiert sind. Es gibt da den Begriff des „multidisziplinären Teams“, aber es gibt auch Ärzte, die sich die psychologischen Fertigkeiten, die sportmedizinischen und Ernährungs-Aspekte auch angeeignet haben und alles selbst machen. Wenn sie das nicht selber können, arbeiten sie mit einer Psychologin oder vielleicht einem Psychotherapeuten im Netzwerk zusammen. Das kann vor allem dann, wenn es um Frustrationen, Stimmungen etc. geht, die verantwortlich sind für das Essen und Trinken, sehr hilfreich sein. Auch ein Sportrainer oder Fitnessstudio könnte im Netzwerk drinnen sein. Das wird regional und von den Leuten individuell vor Ort gelöst und richtet sich nach dem, was auch vor Ort verfügbar ist. Es ist in der Stadt meist etwas leichter, weil viele dieser Berufsdisziplinen vorhanden sind – zumindest in dem Bereich, wo man sie selbst bezahlt.

Diese Dinge werden erfahrungsgemäß nicht zur Gänze von der Kasse bezahlt bzw. zum Teil gar nicht. Der Patient muss oft sehr tief in die Tasche greifen, damit er sein Programm bekommt. Eine Alternative ist bei der Einleitung so einer Therapie, einmal in ein Reha-Zentrum zu gehen. Dort wird man dann zum Beispiel drei Wochen lang trainiert und erhält unterschiedliche Beratungen, sodass Risikofaktoren vielleicht besser eingestellt werden als vorher. Aber es muss einem klar sein, dass es sich hier um eine kurzzeitige Intervention handelt, in der man wenige Kilos verlieren wird. In drei Wochen kann man nicht, wenn man es richtig macht, viel mehr als drei Kilo reduzieren. Das ist schon viel, manche erreichen die Hälfte. Danach braucht es eine langfristige Betreuung beim Arzt des Vertrauens oder bei der Diätologin – wer immer dann bereit ist, diese Betreuung zu übernehmen.

Mehr Infos:

www.adipositas-austria.org

www.adipositaschirurgie-ges.at

 

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