Anlässlich des Weltdiabetestages am 14. November 2020 veröffentlichte die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) eine Auswertung des Diabetes-Covid-19-Registers. Experten der Medizinischen Universität Wien appellieren anlässlich des Weltdiabetestags an Menschen mit Diabetes, auf die regelmäßige Einnahme von Medikamenten und ärztliche Kontrollen zu achten. Denn das Aussetzen von Behandlungen und Untersuchungen erhöht die gesundheitlichen Risiken, wie eine aktuelle Datenauswertung der MedUni Wien ergeben hat.
Am 14. November, dem Weltdiabetestag, wird jährlich auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die mit einer Diabetes mellitus-Erkrankung einhergehen.
„Bis zu 800.000 Menschen in Österreich leben mit einem manifesten Diabetes. Davon kennen rund 20 Prozent ihre Diagnose noch nicht. Zu den 800.000 kommen noch rund fünf Prozent der erwachsenen Bevölkerung dazu, die bereits einen Prädiabetes haben und somit ein sehr hohes Risiko in sich tragen, innerhalb der kommenden Jahre einen Diabetes mellitus Typ 2 zu entwickeln. Gerade am Weltdiabetestag ist es wichtig, sich diese hohen Zahlen vor Auge zu führen und zu bedenken, dass hinter diesen Zahlen individuelle Schicksale stehen. Noch immer stirbt alle 50 Minuten ein Mensch in Österreich an den Folgen von Diabetes, meistens durch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Noch immer verlieren jährlich 200 Menschen ihr Augenlicht. Daran sollten wir am Weltdiabetestag denken“, betonte die Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Univ. Prof. Dr. Susanne Kaser von der Universitätsklinik für Innere Medizin I der Medizinischen Universität Innsbruck.
Österreichisches Diabetes-Covid-19-Register
Anlässlich des Weltdiabetestages veröffentlichte die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) eine Auswertung der ersten Daten von 238 Diabetes-Patienten aus dem Diabetes-Covid-19-Register.
Die Analyse anonymisierter Daten von Patienten aus zehn großen Spitälern und Universitätskliniken in sechs Bundesländern, die an Diabetes erkrankt sind und aufgrund von Covid-19 im Spital stationär versorgt werden, beinhaltet Informationen zum Body Mass Index (BMI), zur Therapie, zum HbA1c-Wert (der Langzeitzuckerwert) und Begleiterkrankungen sowie zusätzliche Routinelaborparameter. Anlässlich des Weltdiabetestages wurden analysiert.
Die wichtigsten Ergebnisse:
- Die Gefahr eines tödlichen Ausgangs einer Covid-19-Infektion bei Menschen mit Diabetes variiert abhängig von weiteren Risikofaktoren und Begleiterkrankungen.
- Nach einem weiteren internationalen wissenschaftlichen Abgleich mit anderen Studien wird es möglich sein, die Ressourcenplanung in Spitälern auf Basis dieser Daten zu optimieren.
- Kein signifikanter Unterschied ist zwischen Prädiabetes und Diabetes zu beobachten, darum muss auch bereits der Prädiabetes als Risikofaktor ernster genommen werden.
Das Risiko an Covid-19 zu versterben steigt mit Folgeerkrankungen und weiteren Parametern
Ein Viertel der 238 Diabetes-Patienten verstarb im Krankenhaus verstorben. Laut Assoz.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Harald Sourij von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie an der Medizinischen Universität Graz lässt sich aus dem Alter, dem Vorhandensein von arterieller Verschlusskrankheit, dem Entzündungsparameter CRP, dem Leberparameter AST und der Nierenfunktion (eGFR) ein Score errechnen, der das Risiko für die Sterblichkeit im Krankenhaus angibt. „Dieser Score kann uns in Zukunft bei der Versorgungsplanung in Spitälern sehr nützlich sein. Davor werden wir unsere Erkenntnisse noch mit denen anderer Studiengruppen in anderen Ländern abgleichen, um zu sehen, ob sich die Ergebnisse reproduzieren lassen“, erklärt Sourij.
Menschen mit Diabetes können nicht generell als Corona-Risikogruppe gesehen werden
Kaser zufolge wurden in das Register ausschließlich Personen aufgenommen, die aufgrund einer Covid-19-Infektion ein Krankenhaus aufgesucht haben und Diabetes oder Prädiabetes hatten. „Aus unserer Untersuchung zu schließen, dass jeder vierte Covid-19-Infizierte mit Diabetes daran stirbt, wäre ein völlig falscher Schluss. Wir können keine Aussage darüber treffen, wie viele Menschen mit Diabetes an Covid 19 erkranken“, betont Kaser.
Aus internationalen Untersuchungen lässt sich ableiten, dass nicht das Risiko einer Erkrankung bei Menschen mit Diabetes generell erhöht ist, aber dass das Risiko für einen schweren Verlauf steigt. Sogar bei jenen, die einen so schweren Covid-19-Verlauf haben, dass sie ins Krankenhaus aufgenommen werden mussten, zeigt sich, dass allein die Diabetes-Diagnose den weiteren Verlauf noch nicht definiert. Die Verstorbenen hatten signifikant häufiger vier oder noch mehr Begleiterkrankungen zusätzlich zu Diabetes. Gerade Menschen mit Diabetes über 70 und wenn sie an einer arteriellen Verschlusskrankheit leiden und eine eingeschränkte Nierenfunktion haben sind besonders gefährdet.
Bereits Prädiabetes erhöht die Gefahr von schweren Covid-Verläufen
Im Zusammenhang mit COVID-19 beobachten die Diabetes-Experten, dass die Prävalenz von Prädiabetes bei kritischen Verläufen hoch ist. Surij zufolge liege aber bei Personen, die wegen einer COVID-19 Erkrankung stationär aufgenommen wurden, bei der Sterblichkeit kein wesentlicher Unterschied zwischen jenen mit Prädiabetes und jenen mit einem Typ 2 Diabetes vor. „Auch das untermauert die Notwendigkeit der Früherkennung und zu einer aktiven Intervention bei Prädiabetes. Eine einfache Intervention in unserem Gesundheitssystem wäre die Aufnahme des Hba1c-Wertes in die Vorsorgeuntersuchung. Diese zentrale Forderung der ÖDG an die gesundheitspolitischen EntscheiderInnen könnte dazu beitragen, dass Prädiabetes viel häufiger und vor allem viel früher erkannt und behandelt wird“, ist Surij überzeugt.
ÖDG Forderung: Österreichweites Diabetes Register
Kaser appelliert den Bund, die Länder und Sozialversicherungsträger, dass eine österreichweite Diabetes-Datenerfassung unbedingt notwendig sei. Die derzeitige Krise zeige, wie wichtig es ist, exakte Daten zu haben, um eine fundierte Risikoeinschätzung und eine entsprechende Versorgungsplanung möglich zu machen.
Aufruf zu regelmäßiger Medikamenteneinnahme und Kontrollen
Experten der Medizinischen Universität Wien appellieren anlässlich des Weltdiabetestags an Menschen mit Diabetes, nicht auf die regelmäßige Einnahme von Medikamenten und auf ärztliche Kontrollen zu verzichten. Das Aussetzen von Behandlungen und Untersuchungen erhöht die gesundheitlichen Risiken, wie eine aktuelle Datenauswertung der MedUni Wien ergeben hat.
Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer vom Institut für Wissenschaft Komplexer Systeme der Medizinischen Universität Wien rät Menschen mit Diabetes, auch in der Corona-Pandemie auf die regelmäßige Einnahme von Diabetes-Medikamenten zu achten und ärztliche Kontrollen wahrzunehmen.
Mit ihrem Kollegen, Univ.-Prof. Dr. Peter Klimek wertete die Stoffwechselexpertin vom Dachverband der Sozialversicherungsträger zur Verfügung gestellte Krankheitsfälle von Menschen mit Diabetes in Österreich aus. Mittels epidemiologischer Ausbreitungsmodelle, wie sie für Virus-Epidemien verwendet werden, analysierten die Forschenden die Krankheitsgeschichten von meist über 50-jährigen Patienten im Zeitraum von 2012 bis 2017 und modellierten die „österreichische Diabetes-Pandemie“. Als Menscheh mit Diabetes wurden all jene Personen definiert, die anti-diabetische Verschreibungen einlösen bzw. zu regelmäßigen HbA1c-Kontrollen (Messung der Blutzuckerwerte) gehen.
Aussetzen von Medikationen erhöht Sterberisiko
Neben dem bereits bekannten Ost-West-Gefälle in Österreich, wonach es deutlich mehr Menschen mit Diabetes in Wien/Niederösterreich/Burgenland gibt als in den westlichen Bundesländern, zeigte sich, dass immer mehr jüngere Frauen (30 bis 40 Jahre) an Diabetes erkranken. „Bei einer Dreiviertelmillion Betroffenen können wir tatsächlich von einer Diabetes-Epidemie in Österreich sprechen“, zeigte sich Kautzky-Willer besorgt. Die Berechnungen würden aber auch zeigen, dass die Zahl der Neuerkrankungen derzeit auf hohem Niveau stagniert bzw. vor allem bei den Älteren leicht rückfällig ist.
Es sei aber auch deutlich gworden, dass im untersuchten Zeitraum – also schon vor den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie – rund ein Viertel mindestens ein Jahr entweder auf die Einnahme der Medikamente verzichtete oder die regelmäßigen Kontrollen nicht einhielt. Die Zahlen würden zeigen, dass diese inkonsistente Gruppe ein höheres Sterberisiko aufweist als jene, die sich an Medikationen und Kontrollen halten. Im Fall einer aktiven COVID-19-Infektion könne eine Anpassung der Diabetesmedikation nötig werden, was oft telemedizinisch geklärt werden kann. Die Ergebnisse der Studie wurden bei der vergangenen ÖDG-Jahrestagung (Österreichische Diabetes Gesellschaft) präsentiert und befinden sich gerade im Prozess der Publikation in einem wissenschaftlichen Journal.
Weltdiabetestag seit 1991
Der Weltdiabetestag wird jedes Jahr am 14. November, dem Geburtstag des Insulin-Pioniers Frederick Banting, begangen. Banting konnte 1921 erstmals mit seinem Kollegen Charles Best Insulin aus der Bauchspeicheldrüse eines Hundes extrahieren und bei einem anderen Hund mit Diabetes dessen blutzuckersenkenden Effekt nachweisen. Er erhielt dafür noch im selben Jahr den Nobelpreis für Medizin. In Gedenken an seine Leistung wurde 1991 von der International Diabetes Federation (IDF) und der WHO der World Diabetes Day als Reaktion auf die wachsende weltweite Diabetesepidemie ins Leben gerufen. Seit 2007 ist der Weltdiabetestag als Folge der UN-Resolution 61/225 zu Diabetes offizieller United Nations Day. In den letzten Jahren hat sich der Weltdiabetestag zu einem jährlich wachsenden Event entwickelt, der weltweit Millionen Menschen in über 160 Ländern in ihrem Bemühen, Aufmerksamkeit und Bewusstsein für die Krankheit, ihre Prävention und Behandlung zu schaffen, vereint.
Weitere Informationen zum Weltdiabetestag erhalten Sie auf der Website der Internationalen Diabetes Föderation (IDF): www.idf.org
Quelle: Medizinische Universität Wien und Österreichische Diabetes Gesellschaft